Corona – Kultur im Lockdown

Am Beginn des Jahres 2020 war ich guter Dinge. Mein Konzertkalender war schon recht gut gefüllt, ich freute mich auf viele spannende Projekte, auf neue musikalische Bekanntschaften, auf die Entdeckung neuer Werke (ja, sogar eine für mich neue Passion stand im Kalender), auf eine Uraufführung, auf Bachs Osteroratorium noch in der Passionszeit, auf viele, viele wunderbare Kollegen, ganz besonders auf meine erste h-Moll-Messe mit Hans-Christoph Rademann in Stuttgart, auf das Chorfest in meiner Wahlheimat Leipzig und und und...

Nun, 3 Monate später, bin ich noch immer bzw. wieder guter Dinge! Obwohl von den erwähnten Projekten und Treffen und Konzerten fast keines stattfinden konnte, "Corona" sei "Dank". Denn diese Zeit wurde auf eine gänzlich unerwartete Art und Weise denkwürdig, für mich wie für das gesamte Land, ja die ganze Welt.
Wie nahezu alle meiner Kolleginnen und Kollegen habe ich mit den weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, mit den uns allen derzeit verwehrt bleibenden Auftrittsmöglichkeiten, mit dem damit einhergehenden fehlenden Kontakt zum Publikum, mit dem Verlust des hauptsächlichen, weil öffentlichen Teils meiner Berufung, und nicht zuletzt mit den enormen finanziellen Einbußen zu kämpfen, die die Absage fast sämtlicher Veranstaltungen für einige Monate mit sich gebracht haben. Aber zum einen kann ich voller Dankbarkeit feststellen, daß ich mit meiner Familie trotzdem und auf tatsächlich wundersame Weise Versorgung erfahre (Gott sei Dank! - das meine ich wortwörtlich). Und zum anderen lehrt diese Zeit Dankbarkeit in vielerlei Hinsicht: jede kleine Möglichkeit des persönlichen Kontakts, jede sich doch auftuende kleine Möglichkeit des aktiven Musizierens wird zum Ereignis, für das ich von Herzen dankbar bin.
Auf dieser Seite will ich nun einige dieser Ereignisse, die meine Arbeit in dieser fast unwirklichen Zeit bestimmt haben, zusammenfassen und veröffentlichen. Mit einer regelmäßigen Fortsetzung ist zu rechnen...

 

Einige nachdenkliche Bemerkungen seien an dieser Stelle aber noch erlaubt.

(28.04.2020)

Aus der Kombination zweier berufsimmanenter Bedürfnisse (nämlich zum einen, die eigene Kunst trotz allem weiterhin auszuüben, und zum anderen, den Kontakt zum Publikum weiter aufrecht zu erhalten) entstand fast unmittelbar nach Inkrafttreten der Versammlungsverbote, Kontaktsperren, Veranstaltungsabsagen u.ä. eine unglaubliche Fülle an Online-Videos, Internet-Auftritten, Streamings etc., die inzwischen kaum mehr zu überschauen ist. Witzige, traurige, begeisternde, melancholische, verrückte, auf jeden Fall aber kreative Ideen fluten die Kanäle und Timelines und helfen sowohl den Urhebern als auch den Rezipienten, diese so unwirkliche Corona-Zeit mit einem Minimum an persönlichen Kontakten dennoch einigermaßen erträglich zu gestalten. Kunst und Kultur erweisen sich dabei als fast ebenso wichtig wie das tägliche Brot - sie sind gewissermaßen die tägliche Nahrung für die Seele. Und daß sich dies nun so deutlich zeigt, ist ein bemerkenswertes und sehr gutes Zeichen!

Allerdings hat all das auch einen Haken: je vielfältiger die Kunst nun ins Internet "ab"wandert, desto schneller droht sie an Wert zu verlieren. Wenn nun vieles kostenlos online verfügbar ist, weshalb soll man dann irgendwann wieder dafür bezahlen? Schließlich beweisen die Künstler doch gerade zu Tausenden, daß sie ihre Arbeit trotz aller Widrigkeiten auch weiterhin der kulturbedürftigen Allgemeinheit zur Verfügung stellen - und das sogar ohne Honorar bzw. bestenfalls noch gegen gönnerhafte Spenden! Und was jetzt möglich ist, sollte doch auch "post coronam" kein Problem sein, oder? Daß unsere Kulturstaatsministerin diese massenhafte (und teilweise auch viele Urheberrechte ignorierende) Abwanderung ins Netz begrüßt, ist dabei ein weiterer nicht besonders erfreulicher Mosaikstein im ganzen Bild...

Hinzu kommt außerdem die Qualitätsfrage. Kann ein im heimischen Wohn-, Schlaf-, Arbeitszimmer mit teils "haushaltsüblichem" Equipment aufgenommenes und mittels Komprimierung auf Onlineformat gebrachtes Musikstück auch nur annähernd ein Live-Erleben im wahrsten Sinne des Wortes erreichen? Wohl in den allerwenigsten Fällen. Die meisten der o.g. "Home-Videos" oder Video-Collagen beziehen ihre Wirkung vor allem aus der Situation: aus der Kontaktsperre, aus der nichtvorhandenen Möglichkeit des gemeinsamen Musizierens an ein und demselben Ort und die damit verbundene Sehnsucht nach eben diesem, aus dem Zurückgeworfensein auf sich selbst in seinem privaten Umfeld, aus dem plötzlichen und umfassenden Fehlen fast sämtlicher kultureller Veranstaltungen in der Offline-Realität. Deshalb konnte auch das Video des Malaysia Bach Festivals so stark berühren und sich so rasant verbreiten: weil es gleich zu Beginn der weitreichenden Einschränkungen die beschriebene Sehnsucht zugleich zum Ausdruck brachte wie befriedigte, und das auch noch mit einem tröstlichen Inhalt. Dennoch zeigt sich auch hier: ein gemeinsames Musizieren, Empfinden, Atmen, Gestalten ist in der Isolation nicht möglich. Mag also das Ergebnis noch so berührend sein, am Ende wird die Qualität niemals an die Synergien eines echten Konzertes heranreichen, ganz zu schweigen von den millionenfach verfügbaren und auf Perfektion getrimmten Studioproduktionen.

Ich will darum an dieser Stelle meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß diese Sehnsucht nach dem echten Live-Erlebnis auch hinsichtlich der Kulturveranstaltungen und Konzerte bestehen bleibt. Daß sowohl das Publikum als auch wir Künstler in dieser ungewollten "Fastenzeit" noch einmal ganz neu realisieren, was uns allen gerade eigentlich fehlt, und zwar auch in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht. Und daß ab dem Moment, in dem das öffentliche Leben auch für den Bereich der Kultur, der Konzerte, der Ausstellungen, der Theateraufführungen, der Vernissagen, der Clubbesuche, der Lesungen etc. wieder beginnen darf, die Dankbarkeit und Wertschätzung gegenüber all diesen Veranstaltungen und gegenüber all den Ausführenden, den im wahrsten Wortsinne Kreativen in ganz neue Sphären vorstößt.

Aber ich will auch an mich selbst und an all meine KollegInnen appellieren (und mich dabei eines Zitats meines wunderbaren Kollegen Sebastian Kohlhepp bedienen): "Verschenkt nicht unsere Kunst!"
Erzeugt die genannte Sehnsucht auch einmal durch den absichtsvollen Verzicht! Haltet fest an Eurer Profession, an Eurem Willen zum Bestmöglichen, an Euren Ansprüchen und Qualitätsstandards, die - zumindest in meinem Fall - üblicherweise die allerhöchsten sind (man ist sich selbst ja immer der härteste Kritiker). Laßt uns gemeinsam am Wert unserer Arbeit festhalten - und diesen auch in die Öffentlichkeit tragen! Wenn nicht wir selbst, wer dann?

Passend dazu noch einige lesenswerte Presseartikel.
Zum einen aus der Passauer Neuen Presse: "Seltsam, das zu schreiben im Feuilleton, aber in seltsamer Zeit richtig: Künstler sollten jetzt drosseln. Im eigenen Interesse."
Zum anderen im Interview mit Simone Kermes: "...wenn Menschen heute ständig unentgeltlich mit Kunst versorgt werden, wie soll es denn danach aussehen?"
Und in dieselbe Richtung gehend dieser Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung: "Was die momentane Situation betrifft, ziehen sich die Musiker plötzlich wieder zurück auf einen Bettler-Status, der längst überwunden war."

Deshalb möchte ich abschließend zu diesen Gedanken zwei sehr griffige und treffende Claims bemühen:
#dontstopcreativity , aber #verspieltnichtdiemusik !