CD-Erscheinungen – und Kuhnau bekommt ein Zuhause

Johann Kuhnau ist angekommen! Und zwar in seinem neuen Heimatverlag „Breitkopf & Härtel“!
Ich bin sehr dankbar und fühle mich geehrt, daß nunmehr tatsächlich die erste wirkliche Neuausgabe bei diesem renommierten und ältesten Musikverlag der Welt erschienen ist: das Magnificat (mit weihnachtlichen Einlagesätzen) bildet einen überaus angemessenen Neustart der Editionsreihe, die vormals beim Pfefferkorn Musikverlag unter der Bezeichnung „Kuhnau-Projekt“ firmierte.
Dieses Werk ist wohl das prächtigste erhaltene Vokalwerk Kuhnaus. Für die Neuedition habe ich mich allein an die Originalquelle gehalten und bin somit in etlichen Details zu anderen Lesarten gekommen als die wenigen bisher erhältlichen Ausgaben. Außerdem beinhaltet meine Ausgabe zum ersten Mal vier Einlagesätze für Aufführungen zur Weihnachtszeit, die in einer separaten Quelle überliefert sind, und für deren Einordnung in den „Magnificat“-Text ich einige neue Erkenntnisse zutage fördern konnte. So weicht diese Edition schon in ihrer Satzfolge von den bisherigen Gepflogenheiten ab, was übrigens auch auf der im vergangenen Jahr erschienenen CD „Johann Kuhnau – Geistliche Werke Vol. 3“ nachgehört werden kann.
Ich hoffe sehr, daß sich Kuhnaus „Magnificat“ durch diese nun vorliegende Ausgabe seinen Platz im Konzertleben erobern kann und bin dankbar, daß mir der Verlag Breitkopf & Härtel diese Möglichkeit gibt.

Neben diesem für mich persönlich bedeutsamen Schritt und Neuanfang sind unlängst auch noch zwei neue CDs erschienen.
Zum einen gibt es einen Nachklang zum vergangenen Johann-Rosenmüller-Jahr: mit dem Ensemble Weser-Renaissance durfte ich das Wagnis eingehen, 7 verschiedene Vertonungen desselben Psalmtextes aus Rosenmüllers Feder zu musizieren und für CD zu produzieren. Das Ergebnis liegt nun vor, und es ist längst nicht so eintönig, wie diese Beschreibung suggerieren mag, ganz im Gegenteil! Farbig besetzt und instrumentiert, mit immer neuen Ideen für den immer wieder gleichen Text, zeigt diese Aufnahme in besonderer Weise, welch kreativer Komponist dieser Mann war. Ich freue mich besonders, daß die Fassung für Alt-Solo, die ich einsingen durfte, diese Neuerscheinung beschließt.

Zum anderen gibt es die nächste Folge der Schütz-Gesamteinspielung beim Label Carus. Die „Kleinen geistlichen Konzerte II“ bilden die Vol. 17, und sie sind vor allem auch deshalb besonders zu erwähnen und liegen mir sehr am Herzen, weil sie gewissermaßen das Vermächtnis des wunderbaren Ludger Rémy darstellen. Es ist dies wohl seine letzte CD-Einspielung, denn etwa ein Jahr nach der Aufnahme verstarb er – viel zu früh. Es ist mir daher eine besondere Ehre, daß ich in dem Concerto „Was hast du verwirket?“ (wo nur er am Virginal mit mir gemeinsam zu hören ist) noch einmal einen sehr bewegenden Moment mit ihm teilen durfte, der auch für diese Aufnahme festgehalten wurde.
Seine Leidenschaft, sein Suchen nach der Seele in der Musik, vor allem aber auch seine so direkte Emotionalität beim Musizieren habe ich so nirgends sonst erlebt, und auch deshalb fehlt er ganz enorm. Das zeigt auch diese neue CD…

In nach wie vor dankbarem Gedenken, und gleichzeitig sehr freudig über diese neuen Ausgaben in Noten- und CD-Form:
Ihr
David Erler

PS: Und weil Bachs „h-Moll-Messe“ zu jeder (Kirchen-)Jahreszeit paßt: bei AllofBach.com ist sie immer wieder erlebbar.

Bachs „h-Moll-Messe“ bei AllofBach.com

Seit nunmehr einem Jahr ist es vollbracht: auf der Website www.allofbach.com ist das Video von Johann Sebastian Bachs „h-Moll-Messe“ BWV 232 online!

Aufgenommen wurde ein Konzert, das im Rahmen einer Tour am 15. Dezember 2016 in der wunderschönen Grote Kerk in Naarden stattfand, und es handelt sich tatsächlich um einen echten Live-Mitschnitt! Ausführende waren die Nederlandse Bachvereniging mit den (auch sämtliche Chorsätze singenden) Solisten Hana Blažíková, Anna Reinhold, David Erler, Thomas Hobbs und Peter Harvey, die Leitung hatte Jos van Veldhoven.

Sehenswert ist nicht nur das Konzert selbst, sondern auch – wie bei AllofBach üblich – die begleitende Kurzdokumentation, die etliche Interviews mit vielen Beteiligten enthält und dadurch eine sehr persönliche Sicht auf dieses herausragende Werk Bachs bietet.
Zwei Werbevideos gibt es auch online zu sehen: eines als eine Art Teaser, in dem ich auch kurz zu Wort komme, und ein zweites mit dem Cum Sancto Spiritu aus dem Gloria der Messe (siehe unten).

Ich wünsche Ihnen so viel Freude beim Anschauen und -hören der h-Moll-Messe, wie ich sie beim Singen hatte!
Herzlich –
Ihr
David Erler

Altus oder Countertenor?

Ich möchte an dieser Stelle einmal grundsätzlich etwas zu meinem Stimmfach schreiben. Oft werde ich nämlich gefragt, ob ich denn nun ein Countertenor/Kontratenor oder ein Altus sei und was denn der Unterschied zwischen beiden wäre. Meine Standardantwort lautet dann immer, daß es keinen Unterschied gibt, sondern daß beides einfach unterschiedliche Bezeichnungen für dieselbe Sache sind. Das greift natürlich ein wenig zu kurz, deshalb hier nun eine etwas ausführlichere Erklärung.

Beide Bezeichnungen gehen letztlich zurück auf die Entwicklung der Mehrstimmigkeit in der europäischen Kirchenmusik. Die Hauptstimme, die den cantus firmus (die „Melodie“ des Chorals zum Beispiel) sang, nannte man Tenor, wobei hier die erste Silbe des Wortes betont wird. Diese Bezeichnung leitet sich ab vom lateinischen Wort „tenere“ für „halten“ – der Tenor „hält“ also gewissermaßen den Choral. Zunächst traten in der Regel über dieser Stimme einfach eine oder zwei weitere hinzu. Recht bald wurden aber auch Stimmen hinzugefügt, die sich in einer ähnlichen oder sogar einer tieferen Lage befanden. In diesem Zusammenhang taucht zum ersten Mal der Begriff contratenor („Gegen-Tenor“) auf. Am Beginn steht also lediglich eine begriffliche Unterscheidung von der Hauptstimme.
Natürlich wurde dann auch unterschieden, in welcher Lage sich denn diese Gegenstimme befindet. Dies erfolgte mithilfe eines einfachen Zusatzes: man spricht von contratenor altus (dem „hohen Gegentenor“) und von contratenor bassus (dem „tiefen Gegentenor“).
Im Laufe der Zeit ging die Bedeutung des Begriffes „contratenor“ von der rein musikalisch-funktionellen Definition auf den Ausführenden über, so daß manch ein Sänger eben einfach Contratenor genannt wurde. Diese Bezeichnung überdauerte vor allem in England die Jahrhunderte und gewann mit der „Wiederentdeckung“ des solistischen Männeraltes, maßgeblich durch Alfred Deller, wieder an Bedeutung und Bekanntheit, naheliegenderweise in der englischen Form „Countertenor“ (der entsprechende Wikipedia-Artikel ist übrigens tatsächlich recht lesenswert).

Heute hat der Falsettgesang, wie ich selbst ihn auch ausübe, wieder viele und zum Teil weltberühmte Vertreter, und es hat sich gezeigt, daß ein „Countertenor“ nicht zwangsläufig das Pendant zur weiblichen Altstimme sein muß, sondern daß es durchaus auch männliche Mezzosoprane oder gar Soprane gibt.
Deshalb mache ich inzwischen doch wieder eine Unterscheidung, die aber meine ganz private ist: als „Countertenor“ bezeichne ich jeden Sänger, der mit seiner Kopfstimme singt, in welcher Lage auch immer. Als „Altus“ würde ich diejenigen unter den Countertenören bezeichnen, die tatsächlich in der Altlage singen bzw. über eine Kopfstimme in dieser Lage verfügen: ein Alt mit der lateinischen männlichen Wortendung also. Konsequenterweise könnte man dann auch noch von Mezzosopranus oder Sopranus sprechen, manch ein Kollege nennt sich auch Diskant oder Diskantus. Dies sind demzufolge die spezifischeren Einteilungen innerhalb der großen Gruppe der Countertenöre.

Ich selbst, um diesen kurzen Exkurs abzuschließen, nenne mich Altus, weil ich zum einen auch wirklich eine Altstimme habe und singe, zum anderen finde ich ganz schlicht und einfach die Bezeichnung schön, sagt sie doch prägnant das, was ich sängerisch bin: ein männlicher Alt.
Das führt dann mitunter jedoch zu unterhaltsamen Einsendungen befreundeter Kollegen oder gar eigenen Fundstücken
Sind noch Fragen offen geblieben? Sie können mir gern schreiben – oder fragen Sie mich doch einfach bei einem meiner nächsten Konzerte!

Herzlich –
Ihr David Erler