Die corona-bedingte Absagewelle traf irgendwann leider auch das Bachfest Leipzig. Dessen umtriebiger und vor Tatendrang und Kreativität sprühender Intendant Michael Maul hat aber die Flinte nicht einfach ins Korn geworfen, sondern das geplante Motto des Festivals ("Bach - We are Family") kurzerhand auf die Spitze getrieben: da die seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehende Tradition einer Passionsaufführung in der Leipziger Thomaskirche ebenfalls corona-bedingt unterbrochen zu werden drohte, zog er eine eigentlich für das Bachfest geplante Produktion auf den Karfreitag vor. Und er bescherte damit nicht nur mir, sondern per Live-Streaming der ganzen "Bachfamilie" weltweit ein unvergessliches und emotionales Konzerterlebnis. Ein Zeitdokument, das Trost und Zuversicht spenden konnte, und das wohl unvergessen bleiben wird: eine "Johannespassion à trois". Mein lieber Freund und Kollege Benedikt Kristjánsson verkörperte alle Rollen und sang die gesamte Passion allein, begleitet von Elina Albach an Orgel und Cembalo und von Philipp Lamprecht am Schlagwerk. Ich hatte das Privileg, gemeinsam mit 4 weiteren Sängerkollegen, geleitet vom selbst mitsingenden Thomaskantor Gotthold Schwarz (und begleitet von Orgel und Cello), eine einleitende sowie eine beschließende Motette singen zu dürfen, sowie etwa die Hälfte der Choräle - wie es Michael Maul so treffend formuliert hat: in Zeiten der weltweit abgesagten Konzerte haben wir stellvertretend für tausende Kollegen gesungen, aber ebenso stellvertretend für tausende Kollegen geschwiegen bei all den Sätzen, die von Benedikt, Elina und Philipp musiziert wurden.
Das Besondere und so Visionäre wie Bewegende an dieser Aufführung waren jedoch die nicht von uns gesungenen Choräle. Diese wurden per Videoschaltung von Bachchören und Solisten aus aller Welt in die Live-Aufführung in Leipzig "montiert", beteiligt waren Bachchöre aus Ottawa, aus Malaysia, aus St. Gallen und (besonders rührend, weil somit die Tradition gewissermaßen doch direkt fortführend) der Thomanerchor, ebenso wie weitere renommierte Kollegen aus aller Welt. Außerdem waren die Zuschauer weltweit dazu aufgerufen, die Choräle selbst mitzusingen/-spielen, so daß eine wohl noch nie dagewesene Einheit der Bachfamilie in aller Herren Länder entstand und diesen Karfreitag 2020 zu einem schon jetzt legendären Datum in der Geschichte der Passions-Aufführungen in der Leipziger Thomaskirche macht.
Ich bin Michael Maul und Gotthold Schwarz unglaublich dankbar, daß ich einen kleinen Beitrag zu diesem Ereignis leisten durfte - und dann auch beginnend mit Johann Kuhnaus "Tristis est anima mea"! Es gibt hin und wieder diese Konzerte, die man nie vergessen wird. Dieses wird definitiv dazugehören!
Persönliches vom Intendanten
Michael Maul hat im Nachgang noch einen unglaublich berührenden und auch packenden Werdegang dieses Konzertereignisses auf facebook veröffentlicht. Der Text ist etwas länger, aber er lohnt sich wirklich!
Und ein digitales Programmbuch (auch zum Mitsingen) gab es natürlich auch.
Das Konzert
Hier nun endlich die Aufzeichnung dieses denkwürdigen und so besonderen Konzertes
(übrigens auch auf arte.concert abrufbar). Und einige Worte seitens des Bach-Archivs.