Mitteldeutsche Einsamkeit

Meine neueste CD-Veröffentlichung steht unter dem Titel „Einsamkeit, o stilles Wesen“. Und selten war ich so glücklich über eine Aufnahme, das gebe ich gern zu. Endlich wieder einmal – sage und schreibe 15 Jahre nach unserer CD-Produktion mit Musik von David Pohle, die damals zugleich meine erste Aufnahme als Solist war – durfte ich mit dem Ensemble L’arpa festante und Christoph Hesse am Mikrophon stehen, gemeinsam mit den großartigen Sängerkollegen Sibylla Rubens, Hans-Jörg Mammel und Thomas Gropper. Aber nicht nur die Besetzung hat Freude gemacht, sondern auch und besonders die durchweg wunderbare Musik: barocke Kantaten aus Mitteldeutschland, also die Musik, in der ich mich am meisten zuhause und der ich mich besonders verbunden und verpflichtet fühle.
Allein für den Eingangschor der ersten Kantate lohnt sich das Hören dieser CD. Christian August Jacobis Kantate „Meine Sünden gehen über mein Haupt“ war für mich DIE Entdeckung bei dieser Aufnahme, und der erste Satz geht mir noch immer zu Herzen, wenn ich ihn nun höre. Neben weiteren Kantaten von Johann David Heinichen, Ernst Nicolaus Thaur (keine Angst, ich kannte den vorher auch nicht!) und Johann Sebastian Bach ist zudem noch eine genauso wunderbare Kantate von Johann Kuhnau enthalten, die für mich zum besten gehört, was bisher von diesem Komponisten, dem ich mich ja seit Jahren sehr intensiv widme, bekannt ist. Wenn dann im Spätherbst unsere Kuhnau-CD Vol. 5 erscheinen wird, kann es einen direkten Interpretationsvergleich geben, so viel sei vorab verraten…
Jedenfalls ergeht hiermit unbedingte und herzliche Empfehlung, diese tolle Aufnahme zu hören oder gleich zu bestellen! Ich hoffe, Ihnen gefällt sie eben so sehr wie mir – schreiben Sie mir doch gern einmal Ihren Eindruck, das würde mich freuen!

Übrigens führte mich das erste Konzertprojekt meiner neuen Saison zum weltgrößten Festival für Alte Musik, dem Festival Oude Muziek Utrecht, wo ich mit dem Ensemble Weser-Renaissance zur Eröffnung im TivoliVredenburg singen durfte:

Außerdem brachten wir bei einem Nachtkonzert noch ein vollständiges Madrigalbuch von Jean de Macque zur Aufführung – ein toller Start ins neue Konzertjahr. Vielleicht sehen wir uns ja bei einem meiner nächsten Konzerte?

Ihr
David Erler

Heinrich Schütz: Es ist vollbracht!

Nein, das ist kein neu entdecktes Werk von Heinrich Schütz. Aber dennoch ist es kaum weniger bemerkenswert, denn die erste Gesamteinspielung sämtlicher Werke des „Vaters der deutschen Kirchenmusik“ ist nunmehr vollendet! Zu guter Letzt erschien beim Label Carus soeben Vol. 20 unter dem Titel „Psalmen und Friedensmusiken“. Und entgegen der Vermutung, daß am Ende eines solchen Projektes nur noch eine Art Rest übrig ist, sind hier noch einmal unglaublich vielfältige und großartige Kompositionen zu hören – von großbesetzter und prächtiger Mehrchörigkeit bis hin zum ergreifend intimen Trauergedicht für Schütz‘ Ehefrau.
Ich bin sehr dankbar und auch ein wenig stolz, daß ich Teil dieser Gesamteinspielung sein durfte und immerhin auf 10 der 20 CDs vertreten bin (allesamt in meiner Diskographie zu finden). Und ich möchte wärmstens empfehlen, nicht nur diesen jüngst erschienen grandiosen Abschluß der Reihe, sondern auch die eine oder andere frühere Folge zu hören: welch ein Kosmos sich in Schütz‘ Musik eröffnet, wurde mir selbst erst durch die so intensive Beschäftigung mit seinen Werken aus den verschiedensten Schaffensperioden vor Augen und Ohren geführt. Um also mit unserem musikalischen Leiter Hans-Christoph Rademann zu sprechen: „Entdecken Sie Schütz!“

Möglich ist das übrigens auch in zwei Live-Konzerten mit den „Psalmen Davids“ im Oktober 2019, in der Stadtkirche Karlsruhe bzw. in der Essener Philharmonie!

Viel Freude dabei wünscht
Ihr
David Erler

Premiere bei bachipedia.org

Im Herbst 2018 durfte ich zum ersten Mal bei und mit den großartigen Kollegen der Bach-Stiftung St. Gallen und deren Leiter und spiritus rector Rudolf Lutz musizieren. Auf dem Programm stand die Kantate „Ach, lieben Christen, seid getrost“ (BWV 114) von Johann Sebastian Bach.
Das besondere an der Arbeit des Ensembles ist: es gibt pro Konzert genau eine Bachkantate. Sie wird zum Beginn des Konzertes (und nach einer Werkeinführung, die sich bei dieser Reihe schon längst zum „heimlichen Höhepunkt“ gemausert hat und deren „Lutzogramme“ schon fast Legendenstatus genießen) aufgeführt, danach folgt eine Reflexion über die Kantate, ihren Text, ihre Bestimmung o.ä., zumeist durch einen namhaften Referenten, und dann wird die Kantate erneut musiziert. Die zweite Aufführung derselben Kantate hinterläßt dann naturgemäß noch einmal einen ganz neuen, oft tieferen Eindruck, weil man beim zweiten Hören und mit den vielfältigen Anregungen der Reflexion noch einmal ganz anders zuhören und in sich aufnehmen kann.

Jedenfalls durfte ich mich nun auch zum ersten Mal so intensiv einer dieser Kantatenaufführungen widmen, und das Ergebnis ist nun sowohl online auf der überaus empfehlenswerten, enzyklopädischen Website bachipedia.org zu sehen als auch via DVD nach Hause zu holen.
Ausdrückliche Empfehlung also, und große Freude meinerseits, hier nun auch verewigt worden zu sein.

Viel Freude beim Zuhören und -schauen wünscht
Ihr
David Erler

PS: Hier noch das fast schon obligatorische Becherfoto vom Konzertort, der Evangelischen Kirche in Speicher (AR):

Neue CD: Händels Brockes-Passion

Soeben erschienen: der Live-Mitschnitt meines Debütkonzertes bei den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen. Im Mai 2017 wurde dort Händels „Brockes-Passion“ aufgeführt, in der ich den Judas und ein paar weitere, kleinere Rollen übernehmen durfte, an der Seite von lauter großartigen Kollegen. Nun, pünktlich nach der diesjährigen Passionszeit, aber ebenso pünktlich zum 300. Jubiläum der Uraufführung dieses Werkes, liegt der Mitschnitt dieses Konzertes auf CD vor und sollte im einschlägigen Fachhandel erhältlich sein. Ich freue mich sehr – und verweise bei der Gelegenheit auch noch einmal auf meine neugestaltete Diskographie, in der nähere Infos zu dieser und allen weiteren CDs zu finden sind.
Viel Freude beim Hören!

Update: Diskographie

Was lange währt…
Der Weg zu meiner neuen Website war schon lang, aber der Weg zur neuen Diskographieseite nochmals länger. Aber jetzt, dank meines wunderbaren Webmasters, ist es schließlich und endlich soweit! Ich freue mich, all meine CD-Produktionen, die ich im Laufe der Jahre mitsingen und mitaufnehmen durfte, nunmehr auf einer schönen, übersichtlichen Seite zusammenfassen zu können. Samt genauen Informationen zu Mitwirkenden, mit Hörbeispielen, Videos, Pressestimmen etc.
Und hier geht’s zur Übersicht.

Viel Vergnügen beim Stöbern!

Kuhnaus Motetten bei Breitkopf & Härtel

Ganz frisch erschienen ist ein Band mit den wenigen erhaltenen motettischen Kompositionen von Johann Kuhnau. Im Verlag Breitkopf & Härtel durfte ich erstmals die drei unter Kuhnaus Namen überlieferten Werke in einer Ausgabe zusammenfassen. Und ich konnte sie sogar noch um eine weitere anonyme Motette bereichern, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von Kuhnau stammt, aber dennoch ganz wunderbar ins Programm paßt, stellt sie doch ein weiteres Beispiel der Kasualmotetten-Komposition in Mitteldeutschland am Beginn des 18. Jahrhunderts dar. Den Grund für diese Ergänzung habe ich im Vorwort der Ausgabe beschrieben.

Das wohl bekannteste Werk im vorliegenden Band ist Tristis est anima mea – leider ist ausgerechnet diese Motette Kuhnau nicht mit Sicherheit zuzuschreiben. Wer dazu mehr wissen möchte, dem sei nochmals mein Vorwort zur Neuausgabe ans Herz gelegt. Und ich möchte vermuten, daß meine Edition die erste ist, die die in der Quelle enthaltenen Oktav- und Quintparallelen unverändert widergibt…
Wer einen Blick in meine Edition (und in das Vorwort) werfen möchte, kann das auch online tun.
Alle weiteren Informationen sind auf der Verlagsseite bzw. auf meiner Website im Bereich Noten zu finden.

Die drei Kuhnau’schen Motetten können übrigens bereits auf den CDs der Gesamteinspielung bei cpo nachgehört werden, auf Vol. 1 bzw. Vol. 4. Und natürlich hoffe ich, daß diese kleinen Preziosen mithilfe dieses Bandes Eingang in das Repertoire noch vieler Chöre finden können.
Viel Freude beim Singen!

Requiem von Jan Dismas Zelenka

Ich freue mich sehr, nun die Veröffentlichung meiner ersten nicht Kuhnau gewidmeten Editionsarbeit verkünden zu können: beim Verlag Breitkopf & Härtel ist soeben meine Edition des Requiem D-Dur (ZWV 46) von Jan Dismas Zelenka (1679-1745) erschienen!

Zelenka komponierte diese Totenmesse für die Begräbnisfeierlichkeiten von Friedrich August I. von Sachsen (genannt „August der Starke“) im Jahr 1733, und es ist eines seiner prächtigsten und repräsentativsten Werke. Im Jahr 2003 durfte ich dieses Werk schon einmal mit zur Aufführung bringen (damals noch als Mitglied des Dresdner Kammerchores), und daß ich nun für die Neuausgabe verantwortlich sein darf, ehrt mich ganz ungemein und macht mich sehr dankbar. Mehr als zwei Jahre intensiver Arbeit stecken in diesem nun vorliegenden Ergebnis, und ich hoffe, daß es wohlwollend aufgenommen und vor allem auch vermehrt wieder aufgeführt werden wird.

Wer einen ersten Höreindruck bekommen möchte, der sei auf eine wunderbare Aufführung mit dem Collegium 1704 unter Václav Luks verwiesen, die auf youtube zu finden ist.

Und wer einen Blick in meine Edition werfen möchte, kann das auch online tun.
Alle weiteren Informationen sind auf der Verlagsseite bzw. auf meiner Website im Bereich Noten zu finden.

Ich danke dem Verlag und ganz besonders seinem Leiter Nick Pfefferkorn von Herzen für das in mich gesetzte Vertrauen!

Chorzeit-Interview

UPDATE Januar 2019:
Dankenswerterweise darf ich das Interview nun auch zum Download anbieten.

Magazin „Chorzeit“ 12/2018 – „Kuhnau füllt eine Lücke“ – Interview mit David Erler

 

Die Zeitschrift „Chorzeit“, das Magazin des Deutschen Chorverbandes e.V., hat mich vor einiger Zeit zu Johann Kuhnau und seiner Musik interviewt. Dieses Interview ist nun in der aktuellen Ausgabe vom Dezember 2018 erschienen. Unter der Überschrift „Kuhnau füllt eine Lücke“ kann man einiges über meine und unsere Arbeit am Kuhnau-Projekt, dessen Anfänge und überhaupt über Kuhnaus Musik erfahren. Wer also an diesem kleinen Einblick interessiert ist, dem sei diese (übrigens auch sonst für Chorsänger oder am Chorgesang Interessierte sehr lohnende und mittlerweile auch online lesbare) Zeitschrift mit ihrer brandneuen Ausgabe ans Herz gelegt.
„Bach-Vorgänger Kuhnau zu Unrecht vergessen“ steht schon auf der Titelseite – genau so ist es. Ich hoffe, auch dieses Gespräch kann einen Teil zur überfälligen Wiederentdeckung beitragen, und ich bin dankbar für diese Plattform.

 

Mors certa, hora incerta

oder: Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit

Nachruf auf Jörg Bräunig

Heute erreichte mich eine Nachricht, die mich vollkommen fassungslos zurückläßt: der Meißener Domkantor Jörg Bräunig ist völlig überraschend in der Nacht zum Freitag (16.11.) gestorben.

Jörg Bräunig habe ich vieles, wenn nicht alles hinsichtlich meiner Berufswahl zu verdanken. Als ich 14 Jahre alt war, übernahm er das Kantorenamt in meiner Heimatstadt Auerbach/Vogtland. Bei ihm wechselte ich zum ersten Mal von der Kurrende in den Kirchenchor und durchlief etliche weitere Gruppen (Jugendchor, einen überregionalen Kammerchor, einen semiprofessionellen Projektchor „Vocalkreis ’93“ etc.), aber vor allem kam ich dank ihm zum ersten Mal in Kontakt mit etwas, von dem ich zuvor noch rein gar nichts gehört hatte: mit der „historischen Aufführungspraxis“. Er setzte unzählige Werke barocker Komponisten auf sein Programm, und er holte zum ersten Mal ein Barockorchester ins beschauliche Vogtlandstädtchen! Und was sich mir dadurch alles erschloß! Nicht nur, daß ich zum ersten Mal in diese Klangwelten getaucht wurde und mich aufgrund dieser Erfahrungen auch selbst auf die Suche begeben und ganz neue Welten entdeckt habe, sondern alles verband sich bei ihm auch ganz selbstverständlich mit Lust und Freude am Musizieren (nicht selten fing er vor dem Chor oder Orchester an zu „tanzen“ vor Enthusiasmus und Motivationsdrang), vor allem aber mit seinem allem zugrundeliegenden Glauben und Gottvertrauen. Bachs „Soli Deo Gloria“ war bei ihm keine bloße Floskel, sondern authentische Grundlage für seine Begeisterung an jeglichem Musizieren.
Wie das dann so ist im Teenager-Alter: man sucht die Nähe zu Menschen, von denen man meint, etwas Entscheidendes lernen zu können, selbst wenn man sich gar nicht dessen bewußt ist, daß man in diesen Momenten etwas Entscheidendes, Lebensveränderndes lernen würde. So war es auch in diesem Fall: rückblickend betrachtet kann ich sagen, daß ich alles aufsog wie ein Schwamm, möglichst alle Projekte bei ihm mitsang, möglichst viele seiner Konzerte besuchte – selbst dann noch, als wir längst aus Auerbach weggezogen waren. Und es fühlte sich an wie ein Ritterschlag, als ich 1997 zum ersten Mal mit zur sommerlichen Proben- und Konzertwoche des „Vocalkreis ’93“ fahren konnte, dem sonst hauptsächlich studierte oder noch studierende Kirchenmusiker angehörten. Da stand ich dann als 16jähriger Schüler im Tenor, sang zum ersten Mal Werke von Jan Dismas Zelenka, Heinrich Schütz, Giovanni Gabrieli, Orlando di Lasso – und fühlte mich großartig!
Gleichwohl war da noch in keinster Weise abzusehen, daß ich jemals den Gesang zu meinem Beruf machen würde, ich sang einfach gern und freute mich, dabei sein zu dürfen. Und ja: im Tenor…

So wie ich „meinem“ Kantor die Treue hielt und gern für alle musikalischen Schandtaten zur Verfügung stand (auch als Registrant, als Posaunist im Posaunenchor, als Geiger bei Gottesdiensten…), so förderte er mich auch (Unbewußt? Mit einem bestimmten Ziel? Etwas in mir erkennend? Zumindest war ich nie offiziell sein „Schüler“, faktisch aber natürlich mit jeder Minute, die ich unter seiner musikalischen Leitung verbrachte…), wie es ihm sein Dienst ermöglichte und auftrug – einfach, indem ich sehr oft dabei sein konnte und von ihm eingesetzt wurde. Er ließ mich beispielsweise auch mal eine Bachkantate als Konzertmeister im Gottesdienst spielen, obwohl ich aus meiner heutigen Sicht dieser Partie wirklich in keinster Weise gewachsen war. Oder ließ mich die Einsingeübungen im Chor übernehmen, die ich mir zuvor natürlich vor allem von ihm abgeschaut hatte.
Bei Jörg Bräunig sang ich denn auch meine ersten, zunächst winzigen Soli (einen Knecht in Perandas „Markuspassion“ zum Beispiel), und in seinen Chören lernte ich zum ersten Mal die großen Oratorien kennen, die heute zu meinem Hauptrepertoire als gestandener Solist zählen: Bachs „Weihnachtsoratorium“, „Johannespassion“, „Magnificat“ und „h-Moll-Messe“, zudem etliche Kantaten Bachs und seiner Zeitgenossen. Ich hörte dank ihm und meiner daraus resultierenden Beschäftigung mit der „Alten Musik“ zum ersten Mal einen Altus (nämlich Andreas Scholl auf CD), und da er selbst auch gern mal im Alt „aushalf“, wurde mir überhaupt erst bewußt, daß das ja theoretisch auch möglich ist. Dennoch sang ich zunächst weiterhin und gern Tenor, hin und wieder auch bei kleinen Solostellen – oder gar Baß, wenn mal Not am Mann war; und all das mit der schon erwähnten, von ihm ausgestrahlten und auf alle übertragenen Musizierfreude. Die Musik mußte immer auch „Swing“ haben…

Um es etwas abzukürzen: ich sang letztlich bei ihm auch zum ersten Mal ein kleines Altsolo, nämlich einen Hirten in Heinrich Schütz‘ „Weihnachtshistorie“ – weil er es mir zutraute! (Er selbst sang übrigens den zweiten Alt…)
Und er ermutigte und förderte mich auch, als ich kurz darauf tatsächlich in Erwägung zog, mich in Leipzig für ein Studium der Alten Musik mit Hauptfach Gesang zu bewerben. Die Freude – aber ehrlicherweise auch Überraschung (bei mir – ob auch bei ihm?) – war groß, als ich den Studienplatz bekam!
Und auch dann brach unsere Verbindung nicht ab, im Gegenteil: er verfolgte noch immer, was ich tat und wie ich sang. Er setzte mich als einer der Ersten als Solist ein, ungeachtet meines „Studienanfänger-Status“ – und war es auch als „bloße Lücken“-Musik in Chorkonzerten, in denen ich ein Schemelli-Lied o.ä. zum Besten gab. Ich konnte mich bei ihm ausprobieren und sogar öffentlich Prüfungs- oder Wettbewerbsprogramme singen. Bei ihm durfte ich zum ersten Mal als Solist Bachs „Weihnachtsoratorium“ mit Barockorchester singen, zum ersten Mal den Solopart in Bachs „Matthäuspassion“, zum ersten Mal Bachs „h-Moll-Messe“ als Solist (und zugleich als Chorist, denn auch das tat er: er setzte Rifkins und Parrotts Ideen der Chorbesetzung bei Johann Sebastian Bach einfach mal in die Tat um – im sächsischen Vogtland!). Unter seiner Leitung durfte ich zur feierlichen Wiedereinweihung „meiner“ heimatlichen St. Laurentiuskirche in Auerbach einer der Solisten sein (diesmal mit Bachs „Osteroratorium“), ein besonders bewegender Moment für mich. Er lud das Calmus Ensemble in seine Kirche ein zu einem Konzert, was zu meinem offiziellen Abschiedskonzert von diesem Ensemble werden sollte – nicht weniger bewegend. Und last but not least war Jörg Bräunig auch wie selbstverständlich als Organist und Chorleiter bei unserer kirchlichen Trauung im Jahr 2005 dabei (meine Frau und ich hatten uns nämlich in einem seiner Chöre erst kennen- und später liebengelernt) und improvisierte, da die gewünschte Toccata von Widor auf der Auerbacher Orgel aus instrumententechnischen Gründen nicht erklingen konnte, dieselbe eben in ein Choralvorspiel hinein.
Derlei gäbe es noch wesentlich mehr zu erwähnen; von seiner unnachahmlichen Art, konzentriertes, zielgerichtetes Arbeiten und Proben mit passenden, gern auch selbstironischen Sprüchen und Anekdoten aufzulockern, ganz zu schweigen…

Kurzum: ohne Jörg Bräunig wäre ich heute nicht der Sänger, der ich bin (ob ich überhaupt einer wäre?), er unterstützte und verfolgte wie kein Zweiter mein Wachsen und Werden auf dem Weg zur Professionalität als Musiker. Dank ihm durfte ich erste Schritte in diese Professionalität hinein tun, er förderte und forderte mich zugleich, indem er mir Aufgaben anvertraute, an die ich mich von selbst vielleicht nicht gewagt hätte. Auch dank ihm und seiner so enthusiastischen, lebensfrohen und lebensnahen, dabei aber dennoch hohen bis höchsten Ansprüchen genügen wollenden Arbeit an der musikalischen Basis einer Kirchgemeinde bin ich heute da, wo ich sein darf. Seine Tür stand mir immer offen. Für all das bin ich ihm unglaublich dankbar. Und ich kann es nicht fassen, daß Jörg Bräunig nun nicht mehr am Leben ist.
Er starb mit 49 Jahren, kurz nach seiner Silberhochzeit; er hinterläßt seine wunderbare Ehefrau und drei erwachsene Kinder – denen mein tiefes Mitgefühl gilt und bei denen nun all meine Gedanken und Gebete sind. Er hinterläßt eine Lücke in meinem Leben als Musiker, die kein Anderer in dieser Weise wird füllen können, allein aufgrund „unserer“ Geschichte (die ich oben nur in Ansätzen erzählt habe). Und ich frage mich: warum er, und warum schon jetzt?
Aber ich bin sicher, letztlich hätte er auf diese Frage zum Beispiel mit dem obigen Zitat aus Bachs „Actus tragicus“ geantwortet: „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit.“
Auch wenn es schwerfällt, möchte ich genau das gern glauben und mir zum Trost werden lassen; vor allem jedoch wünsche ich seiner Familie von Herzen, daß ihr dies zum Trost werden kann. Wenn auch nicht heute, so doch in einigen Wochen, Monaten…

Immerhin kannst Du jetzt Bach persönlich fragen, wie nun sein Chor wirklich besetzt war –
aber dennoch, lieber Jörg: hier wirst Du fehlen!

Dein David

 

PS: Eine erste offizielle Meldung gibt es in der Sächsischen Zeitung.

Update, 19.11.2018:
Die Trauerfeier im Meißener Dom findet am 23.11.2018 um 14 Uhr statt.

CD-Neuheiten bei cpo

Meine Website nimmt immer klarere Formen an, und die meisten Bereiche sind schon auf dem neuesten Stand, worüber ich mich sehr freue. Die Diskographie allerdings ist noch in Arbeit, was auch dazu führt, daß einige neue CDs noch nicht eingearbeitet sind, die ich deshalb gern an dieser Stelle vorstellen möchte. Alle stammen diesmal aus dem bewährten Hause cpo.

Besonders geehrt fühle ich mich, nun zum ersten Mal eine CD mit einem der Pioniere der Alten Musik in Deutschland aufgenommen und veröffentlicht zu haben, nämlich mit Hermann Max. Etliche Konzerte durfte ich bereits mit ihm singen, und ihm Rahmen der Fasch-Festtage in Zerbst entstand 2017 auch eine Platte mit Vokal- und Instrumentalwerken von Johann Friedrich Fasch: tolle Musik, die auf jeden Fall ihre Entdeckung wert ist. Mit mir gemeinsam musizieren Veronika Winter, Tobias Hunger und Matthias Vieweg sowie die Rheinische Kantorei und das Kleine Konzert, alle unter der inspirierenden Leitung von Hermann Max.


Manfred Cordes mit seinem Ensemble Weser-Renaissance Bremen muß im gleichen Atemzug genannt werden: auch dieses Ensemble, das soeben seinen 25. Geburtstag feiert, sorgt schon und noch immer für Pioniertaten in der Erschließung lang und zu Unrecht vergessener Musik. Eine ganze Reihe CDs durfte ich mit Weser-Renaissance bereits aufnehmen, und auch die jüngste Neuerscheinung beinhaltet großartige, gleichwohl äußerst selten zu hörende Musik: italienische Madrigale und Orgelwerke von Jean/Giovanni de Macque, einem franko-flämischen Komponisten, der die meiste Zeit seines Lebens in Italien verbrachte und arbeitete. Es empfiehlt sich übrigens gerade bei solchen Aufnahmen, hin und wieder einmal die Gesangstexte im Booklet nachzuverfolgen, denn wie de Macque Wort und Musik verknüpft, war auch für uns Ausführende enorm beeindruckend und kunstvoll. Zu hören auf dieser neuen Platte:


Last, but no least: unser Kuhnau-Projekt geht beständig voran. Soeben erschienen ist die vierte Folge der Gesamtaufnahme, und soviel darf ich verraten: das bedeutet, es ist „Bergfest“.
Auf dieser Volume 4 sind nun erstmals einige kleinerbesetzte Kompositionen zusammengefasst: vier Solokantaten werden ergänzt mit zwei fünfstimmigen Begräbnismotetten (die Noten erscheinen übrigens in diesen Tagen bei Breitkopf & Härtel, und in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift „Chormusik“ wird es dazu auch ein Interview mit mir geben) sowie einer Choralkantate über „Was Gott tut, das ist wohlgetan“. Aufgenommen wurde diese CD wie gewohnt in Rötha, diesmal allerdings in der Marienkirche, die ebenfalls über eine wunderbare Silbermann-Orgel verfügt. Aber hören Sie doch selbst und bleiben Sie dem Kuhnau-Projekt gewogen!


Mit einem Klick auf das jeweilige Cover gelangen Sie übrigens zur entsprechenden Bestellseite, wo sie auch jeweils in die einzelnen Tracks kurz hineinhören können. Demnächst geht das auch in meiner eigenen Diskographie – stay tuned…

Herzlich –
Ihr
David Erler